Züchtungskunde, 90, (1) S. 27-33, 2018, ISSN 0044-5401
© Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart
Scientific Articles
Resilienz bei der Milchkuh – gibt es das?
R. Große1 ; Kerstin-Elisabeth Müller1 ; 1 Klinik für Klauentiere, Fachbereich Veterinärmedizin, Freie Universität Berlin, Königsweg 65, 14163 Berlin, E-Mail: klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de
Produktionskrankheiten bei Hochleistungsmilchkühen treten bevorzugt im Zeitraum um die Kalbung auf und werden oft ausschließlich auf die Höhe der Milchleistung zurückgeführt. Eine monokausale Betrachtungsweise wird jedoch der Wirklichkeit nicht gerecht, da Produktionskrankheiten auf ein multifaktorielles Geschehen zurückzuführen sind, bei dem sowohl exogene (umgebungsbezogene), als auch endogene (tierbezogene) Faktoren eine Rolle spielen. Der Stoffwechsel des Rindes folgt den Regeln eines komplexen Systems und besteht aus einer Vielzahl von Variablen (Stoffwechselparameter), die über negative und positive Rückkopplungsmechanismen unterschiedlicher Stärke, bisweilen nicht unmittelbar, sondern mit einer gewissen Zeitverzögerung interagieren. Ein komplexes System wird durch das Vorhandensein negativer Feedbackmechanismen stabilisiert. Resilienz (Federkraft) bezogen auf die Tiergesundheit ist die Fähigkeit des Organismus nach einer äußeren Einwirkung, seinen Ausgangszustand zu bewahren. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es der Frage nachzugehen, ob es Resilienz bei Milchkühen überhaupt gibt, wie diese sich äußert, ob diese messbar ist, und ob wissenschaftliche Untersuchungen zur Resilienz der Milchkuh dazu beitragen können, die Inzidenz der sogenannten Produktionskrankheiten zu senken. Mittels engmaschiger Beobachtung von Kühen, der Nutzung von Sensortechnik zur Aktivitätsmessung und Temperaturbestimmung im Pansen und der Untersuchung von Blutproben (Albumin, NEFA, Ca, P, Harnstoff, Haptoglobin) und Kotproben ist es niederländischen Wissenschaftlern gelungen, Kühe, die nach der Kalbung eine Produktionskrankheit entwickelten bereits vor der Kalbung als Risikotiere zu identifizieren. Kennzeichnend für Risikokühe war die träge Rückkehr quantifizierbarer Variablen in den Referenzbereich im Vergleich zu Kühen, die gesund blieben. Die Identifizierung resilienter Milchkühe kann von den Züchtern zur Verbesserung der Tiergesundheit genutzt werden. Die Möglichkeit zur Erkennung von Risikokühen bereits während der Trockenstehphase versetzt den Landwirt in die Lage vorbeugende Maßnahmen auf Ebene des individuellen Tieres zu ergreifen und nicht erst aktiv zu werden, wenn das Tier an einer der Produktionskrankheiten erkrankt ist.
Resilienz; Milchkuh; Produktionskrankheiten; komplexe Systeme
Resilience in dairy cows – does it exist?
Production diseases affect dairy cows predominantly during the transition period. A causal relationship is drawn between high milk yield and the occurrence of production diseases. Such a monocausal approach, however, does not reflect the real situation as production diseases are multifactorial by origin, with exogen (environmental) and endogen (animal related) factors being involved. The bovine metabolism follows the rules of a complex system as it is characterized by a great number of variables (metabolic parameters) that interact by positive as well as negative feedback mechanisms of variable intensity. Furthermore the effects of such feedback mechanisms might not occur instantaneously but with some delay in time. Negative feedback loops contribute to the stability of a complex system. Resilience with respect to animal health is defined as the capacity of animals to cope with short-term perturbations in their environments and return rapidly to their pre-challenge status. Aim of the present paper is to answer the question whether resilience does exist in dairy cows, what characteristics it shares, whether it is measurable and whether research on resilience could contribute to a decrease in the incidence rates of production diseases. Close monitoring of dairy cows by clinical examination, use of sensor technology and analysis of blood samples for metabolic parameters (NEFA, Ca, P, urea, albumin, haptoglobin,) and faecal samples in the dry period allowed Dutch researchers to identify cows on beforehand that were at risk of developing production diseases in the post partum period. Cows at risk demonstrated differences in their behaviour as well as a delayed return of selected metabolic analytes to the reference range following calving compared to cows that remained healthy during the transition period. Identification of resilient dairy cows could help breeders in their efforts to improve dairy health and allow farmers to take preventive measures whenever a cow at risk is identified in the dry period.
resilience; dairy cow; production diseases; complex systems