Vom Aussterben bedrohte Rinderrassen mit kleiner Populationsgröße bleiben in ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu intensiv genutzten Rinderrassen mit großer Populationsgröße zunehmend zurück, vor allem was die Verwendung genomischer Daten und den Fortschritt in der genomischen Selektion anbelangt. Eine verstärkte Nutzung genomischer Daten in bedrohten Rassen kann jedoch wesentlich zum Erhalt der genetischen Diversität, zu einem verbesserten Inzuchtmanagement und einer Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Rassen beitragen. Der vorliegende Beitrag präsentiert daher – beispielhaft am Deutschen Schwarzbunten Niederungsrind (DSN) – Möglichkeiten der Nutzung von Genotyp- und Sequenzdaten zur züchterischen Verbesserung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit von Rassen mit kleiner Populationsgröße. Analysen von Vollgenomsequenzdaten beim DSN konnten zeigen, dass die Rasse eine sehr hohe genetische Diversität in genomischen Regionen besitzt, welche in der Immunerkennung und Krankheitsresistenz eine Rolle spielen. Rassevergleiche auf phänotypischer Ebene ergaben bislang keine Überlegenheit der DSN in Hinblick auf Gesundheitsmerkale, reflektierten aber deren gute Anpassung an die Weidehaltung (u.a. verbesserte Hitzetoleranz). Auch wenn das DSN als eine der Ausgangsrassen der heute hochleistenden Milchrindrasse Holstein Friesian gilt, unterscheiden sich beide Rassen neben sichtbaren Merkmalen auch in Analysen genomischer Daten deutlich voneinander. Rassespezifische genomische Besonderheiten in DSN konnten in genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) sowie in Genanalysen für Leistungsmerkmale und funktionale Merkmale nachgewiesen werden. Daher wurde ein neuer SNP-Chip für das DSN entwickelt, welcher rassespezifische Varianten inkludiert. Die praktische Anwendung dieses DSN-spezifischen Chips in GWAS und in der genomischen Zuchtwertschätzung wird in diesem Beitrag vorgestellt. Zudem werden weitere Ansätze adressiert, wie beispielsweise die Inkludierung von Genotypen aus anderen Ländern oder spezielle Clusteranalysen zur Bildung von Betriebstypen über Ländergrenzen hinweg, welche zu einer züchterischen Weiterentwicklung, zum Inzuchtmanagement und zum Erhalt der genetischen Diversität in Rassen mit kleiner Populationsgröße beitragen können.
Von:  Katharina May1
; Manuel J. Wolf1
; Tong Yin1
; Guilherme B. Neumann2
; Paula Korku¿2
; Sven König1
; Gudrun A. Brockmann2
; 1 Institut für Tierzucht und Haustiergenetik, Justus-Liebig-Universität, 35390 Gießen
; 2 Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin, 10099 Berlin; E-Mail: katharina.may@agrar.uni-giessen.de