Resilienz bei der Milchkuh – gibt es das?
R. Große1 ; Kerstin-Elisabeth Müller1 ; 1 Klinik für Klauentiere, Fachbereich Veterinärmedizin, Freie Universität Berlin, Königsweg 65, 14163 Berlin, E-Mail: klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de
Produktionskrankheiten bei Hochleistungsmilchkühen treten bevorzugt im Zeitraum um die Kalbung auf und werden oft ausschließlich auf die Höhe der Milchleistung zurückgeführt. Eine monokausale Betrachtungsweise wird jedoch der Wirklichkeit nicht gerecht, da Produktionskrankheiten auf ein multifaktorielles Geschehen zurückzuführen sind, bei dem sowohl exogene (umgebungsbezogene), als auch endogene (tierbezogene) Faktoren eine Rolle spielen. Der Stoffwechsel des Rindes folgt den Regeln eines komplexen Systems und besteht aus einer Vielzahl von Variablen (Stoffwechselparameter), die über negative und positive Rückkopplungsmechanismen unterschiedlicher Stärke, bisweilen nicht unmittelbar, sondern mit einer gewissen Zeitverzögerung interagieren. Ein komplexes System wird durch das Vorhandensein negativer Feedbackmechanismen stabilisiert. Resilienz (Federkraft) bezogen auf die Tiergesundheit ist die Fähigkeit des Organismus nach einer äußeren Einwirkung, seinen Ausgangszustand zu bewahren. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es der Frage nachzugehen, ob es Resilienz bei Milchkühen überhaupt gibt, wie diese sich äußert, ob diese messbar ist, und ob wissenschaftliche Untersuchungen zur Resilienz der Milchkuh dazu beitragen können, die Inzidenz der sogenannten Produktionskrankheiten zu senken. Mittels engmaschiger Beobachtung von Kühen, der Nutzung von Sensortechnik zur Aktivitätsmessung und Temperaturbestimmung im Pansen und der Untersuchung von Blutproben (Albumin, NEFA, Ca, P, Harnstoff, Haptoglobin) und Kotproben ist es niederländischen Wissenschaftlern gelungen, Kühe, die nach der Kalbung eine Produktionskrankheit entwickelten bereits vor der Kalbung als Risikotiere zu identifizieren. Kennzeichnend für Risikokühe war die träge Rückkehr quantifizierbarer Variablen in den Referenzbereich im Vergleich zu Kühen, die gesund blieben. Die Identifizierung resilienter Milchkühe kann von den Züchtern zur Verbesserung der Tiergesundheit genutzt werden. Die Möglichkeit zur Erkennung von Risikokühen bereits während der Trockenstehphase versetzt den Landwirt in die Lage vorbeugende Maßnahmen auf Ebene des individuellen Tieres zu ergreifen und nicht erst aktiv zu werden, wenn das Tier an einer der Produktionskrankheiten erkrankt ist.