Zunehmende Inzucht mit dem Verlust an genetischer Diversität sind bereits seit vielen Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und der daraus folgenden Konsequenzen für die wirtschaftlich wichtigen Leistungs-, Gesundheits- und funktionalen Merkmale in der Milchrinderzucht. Daher war es Ziel dieser Arbeit, Methoden und bisherige Erkenntnisse zu Inzuchteffekten in Milchviehpopulationen basierend auf Pedigreedaten aus der Literatur zusammenzustellen. Negative Effekte von Inzucht (Inzuchtdepression) sind hinreichend bei Zuchtmerkmalen in Nutztierpopulationen belegt. Ein Anstieg des Inzuchtkoeffizienten anhand von Pedigreedaten um 1% war mit einem Rückgang des phänotypischen Merkmalswertes um 0,13% des Mittelwertes oder um 0,59% der phänotypischen Standardabweichung assoziiert. Eine Verminderung von Inzuchtdepression („purging“) kann dann eintreten, wenn infolge von Selektion die von stärkerer Inzuchtdepression betroffenen Individuen in ihrer Überlebensfähigkeit und Reproduktionsrate zunehmend beeinträchtigt oder in der Zucht zunehmend weniger häufig eingesetzt werden und dadurch Allele mit negativen Effekten auf die Fitness in der Population verloren gehen. Wenn ausreichend weitzurückreichende Pedigreedaten verfügbar sind, wird es möglich, mittels ancestraler Inzuchtkoeffizienten mögliche positive Effekte infolge Verminderung der Inzuchtdepression durch Selektion zu schätzen. Über alle Studien hinweg betrug der Schätzwert bei einem Anstieg des jeweiligen ancestralen Inzuchtkoeffizienten anhand von Pedigreedaten um 1% für die ancestrale Inzuchtdepression Fa_Kal nach Kalinowski et al. (2000) –1,272% der phänotypischen Standardabweichung, für die neue Inzucht Fa_New nach Kalinowski et al. (2000) –0,866% der phänotypischen Standardabweichung und der Interaktion zwischen F und Fa_Bal (Ballou, 1997) –7,063% der phänotypischen Standardabweichung. Daraus ergibt sich, dass eine Bereinigung von Inzuchtdepression durch Selektion über alle untersuchten Merkmale bisher nicht nachweisbar war, da für die ancestrale Inzucht die Inzuchtdepression höher war als für die neue Inzucht oder die mit dem klassischen Inzuchtkoeffizienten assoziierte Inzuchtdepression. Bei den 305-Tage-Milchleistungsmerkmalen der Kühe zeigten sich deutliche Hinweise auf eine Bereinigung von Inzuchtdepression bei den Holsteins in den Niederlanden und eine Abschwächung der Inzuchtdepression bei den Holsteins in Irland. Bei Fruchtbarkeits- und Langlebigkeitsmerkmalen hingegen war eine Reduzierung von Inzuchtdepression durch Selektion nicht offensichtlich.
Daher ist es wichtig, den Anstieg von ancestraler und neuer Inzucht möglichst gering zu halten. Auf diese Weise kann auch eine Verminderung des Selektionsfortschrittes durch Inzuchtdepression reduziert werden.
Von:  Anna Wirth1
; Ottmar Distl1
; 1 Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover; E-Mail: ottmar.distl@tiho-hannover.de